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Ingenieurrechtstag 2022

Entwicklungen bei den Freien Berufen, aktuelle Schwerpunkte in der Rechtsprechung, Notfallvorsorge für das Ingenieurbüro und zu guter Letzt der Blick auf die Rahmenbedingungen für ein klimaangepasstes Bauen: Mit diesem breiten Themenspektrum und spannenden Programm begrüßte Präsident Martin Betzler am 2. November rund 80 Teilnehmende im HCC Hannover Congress Centrum zum Ingenieurrechtstag 2022. Und dieser Ingenieurrechtstag stand nach zwei Jahren im digitalen Format nun auch wieder ganz im Zeichen des persönlichen Austauschs und des Miteinanders vor Ort.

Die Themen im Überblick:

Rahmen für Freie Berufe – Chancen, Risiken und Perspektiven

Zum Auftakt skizzierte RA Peter Klotzki, Hauptgeschäftsführer Bundesverband der Freien Berufe in Berlin, den Rahmen für Freie Berufe – Chancen, Risiken und Perspektiven: Rund6 Mio. Beschäftigte in den Branchen dominieren die Wirtschaft, dies mit einem Wertesystem aus Gemeinwohlorientierung und Verbraucherschutz, aus Expertenwissen, Know-How, Qualität, Verantwortung, Innovation und mehr. Größe, Dynamik und agile Einheiten seien die Stärken der Freien Berufe, die sich insbesondere als Local Player hohen Stellenwert verschaffen. „Keine Gruppe hört so viel, keine Gruppe sendet so viel“, unterstrich der Referent die gesellschaftliche Akzeptanz einerseits wie die staatlich-politische Wertschätzung mit dringend erforderlichen politischen Bekenntnisse zu den Freien Berufen andererseits. Folgend richtete der BFB-Hauptgeschäftsführer den Blick auf die Risiken für die planenden Berufe durch die europäischen Novellierungstendenzen und plädierte für den Erhalt und Ausbau der Kammerstrukturen.

Auch die Aktivitäten von Fremdinvestoren im heilberuflichen Sektor durch Aufkauf von Praxen und medizinischen Einheiten, die er als Angriff auf die berufliche Selbständigkeit bezeichnete, bieten Grund zur Sorge. Der BFB sei hier in unterschiedliche institutionelle Prozesse eingebunden und fordere fortlaufend die Auseinandersetzung mit den Freien Berufen sowie entsprechende gesetzliche Regelungen. „Denn wenn der Wettbewerb wegfällt, leidet auch der Verbraucher“, so RA Klotzki, dies auch mit Blick auf die anstehenden Anforderungen an ein klimaangepasstes Bauen. Nicht minder stellt der anhaltend hohe Fachkräftemangel ein strukturelles Risiko für die Freien Berufe dar, während konjunkturell der Ukraine-Krieg, Energieverteuerung, Lieferengpässe sowie die jetzt drohende Inflation mit noch unvorhersehbaren wirtschaftlichen Folgen wirken werden. Dem Berufsstand zeigte er dennoch eine positive Perspektive auf und schrieb den planenden Ingenieurinnen und Ingenieuren als „Klimaexperten“ insbesondere in den Herausforderungen an den Klimawandel in der Energiewende und der Transformation eine Schlüsselrolle zu. Denn hier punkten Freie Berufe mit Unabhängigkeit und Expertise.

Aktuelles zu Honorar-, Haftungs- und Gesellschaftsrecht

RA Lars Christian Nerbel, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, ist vielen Mitgliedern aus der Rechtsberatung der Ingenieurkammer bekannt. In seinem Vortrag Schwerpunkte der Rechtsberatung – Aktuelles zu Honorar-, Haftungs- und Gesellschaftsrecht ging er auf aktuelle Entwicklungen ein. Gute Nachrichten hatte der Rechtsexperte für alle Ingenieurinnen und Ingenieure, die mit ihrem Auftraggeber vor dem 01.01.2021 ein Honorar unterhalb der Mindestsätze der HOAI 2013 vereinbart haben. Denn die in der HOAI 2013 festgesetzten Mindestsätze sind weiter durchsetzbar. Eine mögliche Differenz kann mittels Aufstockungsverlangen geltend gemacht werden. Für die nach dem 31.12.2020 geschlossenen Ingenieurverträge gilt jedoch die HOAI 2021, die verbindliche Mindestsätze nicht mehr vorsieht. Einige interessante Tipps gab der Jurist für zusätzliche Honorarforderungen im Fall von Planungs- und Bauzeitverlängerungen. Zwar sieht die HOAI keine bauzeitbezogene Vergütung vor, so dass im Falle einer fehlenden Vereinbarung über die Bauzeit kein zusätzliches Honorar verlangt werden kann. Steht jedoch eine entsprechende Vereinbarung im Vertrag, dann besteht Anspruch auf zusätzliches Honorar im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung am 30.09.2004 – VII ZR 456/01 entschieden.

Ein weiterer sehr wertvoller Tipp gilt insbesondere allen Tragwerksplanenden: Auf Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung, gegen die Güte und Qualität der Baustoffe oder Baustoffteile oder gegen Leistungen anderer Unternehmen haben die Planenden oder Bauüberwachenden unverzüglich hinzuweisen. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass zum einen der Hinweis auf die Ungeeignetheit gegeben wird, aber auch die Folgen und möglichen Gefahren dargestellt werden. Zwar genügt ein mündlicher Bedenkenhinweis. Der Jurist riet jedoch zur Schriftform und den Versand per Einschreiben. Zum Abschluss seines Vortrags gab RA Nerbel einen Ausblick zur Berufsausübungsgesellschaft. Für die Berufsgruppe der Rechtsanwälte gilt ab 01.08.2022 eine Neuregelung des Berufsrechts. Die Möglichkeiten sich mit anderen Berufsgruppen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung zu verbinden, wurden damit erweitert.

Notfallvorsorge auch für Ingenieure: Was passiert, wenn mir etwas passiert?

Nicht weniger von Wichtigkeit ist die Absicherung des Ingenieurbüros in einem Notfall. Mit dem Thema Notfallvorsorge auch für Ingenieure: Was passiert, wenn mir etwas passiert? sensibilisierte Dr. Thomas F.W. Schodder, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, die Teilnehmenden für eine vorausschauende Herangehensweise und gab praktische Hinweise für die Absicherung des Ingenieurbüros in einem Notfall. Denn es ergeben sich Einschränkungen und mitunter erhebliche Auswirkungen, wie im Falle personengebundener Tätigkeiten bei bauvorlageberechtigten Entwurfsverfasser:innen oder Tragwerksplaner:innen bis mitunter hin zum Verlust der Bezeichnung als „Ingenieurbüro“ oder „Ingenieurgesellschaft“, wenn kein weiterer Ingenieur oder Ingenieurin im Unternehmen bzw. keine zur Führung der Berufsbezeichnung berechtigten Gesellschafter in ausreichender Zahl vorhanden ist oder sind.

Die Frage, was in oder mit dem Unternehmen geschieht, stelle sich altersunabhängig für jeden Unternehmer und jede Unternehmerin, konstatierte der Fachanwalt. Neben rechtlichen Vorsorgemaßnahmen wie Vollmachten, Prokura, Betreuungs- oder Patientenverfügung oder Testament ist die Fortführung des Unternehmens bei einem Ausfall das zentrale Problem, „insbesondere in der Konstellation des Einzelunternehmens“, wie Dr. Schodder betonte. Er riet daher, diese Vorsorge als Teil der gesamten Risikovorsorge für das Unternehmen zu begreifen und damit eine wirksame, sorgfältige und vor allem auch selbstbestimmte Vorsorge als unerlässlich zu betrachten.

Nachhaltiges Bauen – Plädoyer für eine Umbauordnung

Den Abschluss des Informationsprogramms bildete der Vortrag von RA Michael Halstenberg, Ministerialdirektor a. D. zum Thema Nachhaltiges Bauen – Plädoyer für eine Umbauordnung. Mit ihm blickten wir auf den Rahmen für eine Verbesserung der Klimabilanz und die dringend notwendige Beschleunigung der Bauwende durch energie- und ressourceneffizientes Bauen. Welche Lösungen gibt es? Und wie kann eine Umbauordnung aussehen? Zwar müsse das bestehende Wohnraumproblem angegangen werden. Allerdings müsste sich eine Menge tun, um gerade im Bausektor möglichst klimaschonend zu agieren. Neben einer Steigerung der Erzeugung grüner Energie mahnte der Referent zusätzlich die Konservierung grauer Energie durch energetische Sanierung von Bestandsbauten sowie Recycling von Baustoffen an. Hierzu bedarf es aber einer (Neu-)Reglementierung. So müsse beispielsweise Bauschutt künftig einem „Produktrecht“ unterfallen, statt wie aktuell juristisch als Abfall eingestuft zu werden, was eine Rückkehr in den Produktkreislauf beinahe ausschließt.

Für die Kalkulation ebenso wie das Recycling ist aber auch die Kenntnis über die verbauten Materialien relevant. Hier muss der Bestand auf Nutzbarkeit hin analysiert werden. Für die Zukunft wäre an die Einführung eines mandatorischen Materialpasses für Gebäude zu denken. Einem Rückbau müsste dementsprechend die Erstellung eines Erhaltungs-, Abfallvermeidungs- und Entsorgungskonzepts verpflichtend vorangestellt werden. Überhaupt sollten Bauvorhaben auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden müssen und dürften für den Fall, dass diese nicht gegeben ist, auch nicht in der Form geplant und realisiert werden, so sein Fazit.

Damit einher ging RA Halstenberg der Forderung nach, den freien Abbruch und Rückbau von der Regel zur genehmigungspflichtigen Ausnahme – zum Beispiel bei positiverer Treibhausbilanz des Neubauprojekts gegenüber der Bestandserhaltung – zu machen. Dabei ist eine Abkehr vom Bauen im höchsten Standard unabdingbar, um bezahlbaren, an individuelle Bedürfnisse angepassten Wohnraum zu schaffen. Bei der Planung wären sicherheits- und treibhausgasrelevante Standards als Leistungssoll einzustufen, für das der Anscheinsbeweis anerkannte Regeln der Technik zu sein gelten soll. Auch an eine stärkere Sozialbindung des Eigentums – einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung – wäre zu denken. Da es sich weit überwiegend um Fragen des Energie-, Wirtschafts-, Abfallwirtschafts- und Luftreinhaltungsrechts handelt, sei – anders als beim Bauordnungsrecht – eine umfassende und deutschlandweit einheitliche Reglementierung durch den Bundesgesetzgeber möglich und vor allem auch zu ermöglichen. Hier rief er zu dringlichem Handeln auf, denn nur durch notwendige weitere und größere Schritte sei der Weg zum Erreichen der Klimaziele 2030 und damit längerfristigen Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen zu bewältigen.

Dem spannenden Informationsprogramm schloss sich ein intensiver Austausch an: Die Teilnehmenden vernetzten sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen und nutzten die Gelegenheit, ihre Fragen an die Referenten zu stellen. Wir danken unseren Referenten und Gästen für die Anregungen und regen Diskussionen.

Fotos: sofern nicht anders vermerkt © Ingenieurkammer Niedersachsen

 

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