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Ingenieurkammer Niedersachsen

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Ingenieurrechtstag 2018: Qualitätssicherung und ethische Fragen der Digitalisierung

Zum Ingenieurrechtstag am 30. Oktober 2018 begrüßte die Ingenieurkammer Niedersachsen neben den fast 120 Gästen Staatssekretär Dr. Berend Lindner des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung sowie die Referenten Prof. Stefan Leupertz, Leupertz Baukonfliktmanagement, Köln und Prof. Dr. Christoph Schank, Juniorprofessor für Unternehmensethik, Universität Vechta.

Qualität der Berufsbezeichnung im NIngG

Präsident Hans-Ullrich Kammeyer wies in seiner Begrüßung auf die Bedeutung der Berufsbezeichnung Ingenieur gerade auch im internationalen Kontext hin. Neue Herausforderungen im Bauordnungsrecht und die zunehmende Digitalisierung erforderten Ingenieurwissen auf hohem Niveau. Nicht nur im europäischen Ausland, sondern weltweit sei es erforderlich, an einem hohen Qualitätsniveau festzuhalten. So habe er anlässlich eines internationalen Treffens mit zahlreichen Vertretern anderer Länder, zum Beispiel Großbritannien, Japan, USA, aber auch Pakistan und Korea, feststellen können, dass im Ausland sehr häufig eine Studienzeit von acht Semestern bei einem weit über 70 prozentigen MINT-Anteil und der Abschluss eines Masters gefordert werde. In Deutschland drohe hingegen eine Absenkung der Anforderungen, da gerade die Hochschulen die Auffassung vertreten, dass ein hoher Anteil von Grundlagenfächern wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT-Fächer) nicht notwendig sei, sondern vielmehr 50 % als ausreichend ansehen.
In Niedersachsen sei man im Rahmen der Gesetzgebung einen guten Weg gegangen, indem man 70 % MINT-Anteile in den Studienfächern vorgegeben habe, um die Voraussetzungen für die Berufsbezeichnung Ingenieurin oder Ingenieur zu erfüllen. Dies betonte auch Staatssekretär Berend Lindner, der das Grußwort an den Berufsstand richtete. Ingenieurinnen und Ingenieure, so der Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, zeichneten sich durch Qualität und Wissensvorsprung aus und er freue sich, dass in gutem Einvernehmen mit der Ingenieurkammer die hohen Qualitätsstandards auch im Gesetz gesichert werden konnten. Lebenslanges Lernen und die Einhaltung von Berufspflichten seien angesichts der Herausforderungen der Zukunft immer wichtiger. Er verwies auf den Masterplan Digitalisierung der Landesregierung und begrüßte es, dass auch die Ingenieurkammer Niedersachsen eine Verbraucherschlichtungsstelle einrichten wolle und sagte auch für die Zukunft der Ingenieurkammer und dem Berufsstand die Unterstützung seines Hauses zu.

Streitvermeidung als ein Element der Qualitätssicherung und Risikominimierung

Auf der Suche nach präventiven Instrumenten beim Vertragsabschluss ging Professor Stefan Leupertz in seinem Vortrag zunächst kurz auf die Neuerungen des Bauvertragsrechts ein. Die zu Beginn des Jahres 2018 eingeführten Neuerungen hätten zahlreiche positive Seiten, allerdings seien Regelungen zur außergerichtlichen Streitbeilegung nur sehr unzureichend erfasst. Es sei zwar die Möglichkeit der Bauverfügung vorgesehen. Angesichts der Handlungsabläufe beim Bauen sei es aber wenig hilfreich, wenn bei jedem Gewerk Fristen von jeweils bis zu 30 Tagen einzuhalten seien, um Einvernehmen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer herzustellen. Dies führe zu großen Zeitverlusten.
Die Ursache der teilweise stockenden Abwicklung von Bauvorhaben, die häufig durch Konflikte nahezu zum Stillstand kämen, läge jedoch bereits im Vorfeld bei der Auftragsvergabe. Häufig würden völlig unrealistische, „politische“ Budgets angesetzt. Die Verfahrensweise, wonach der billigste Anbieter den Zuschlag erhalte, führe notgedrungen zu unrealistischen Marktpreisen und immer noch sei in Deutschland die „baubegleitende Ausführungsplanung“ verbreitet. Es herrsche zudem eine konfrontative statt kooperative Vertragsgestaltung und -abwicklung vor. Als Lösung stellte er vor, Transparenz statt eines verdeckten Wettbewerbs zu pflegen und durch frühzeitiges Planen und Heranziehung aller Beteiligten sehr frühzeitig Planungs- und Ausführungssicherheit herzustellen. So könnten auch faktenfundierte Budgets und ein funktionierendes Schnittstellenmanagement festgelegt werden. Modellansätze hierfür gäbe es durchaus, dies erfordere aber ein grundlegendes Umdenken in der Vertragsgestaltung, folgerte Prof. Leupertz. In der herkömmlichen Vertragsstruktur würden Einzelverträge mit allen Beteiligten, den Architekten, Fachplanern, Objektplanern, Unternehmen und Subunternehmen etc. geschlossen. Abhilfe schaffe eine Mehr-Parteien-Vertragsstruktur. Diese führe auch zur Streitvermeidung – insbesondere, wenn entsprechende Vereinbarungen für den Fall der Konfliktlösung festgelegt würden.

Vertiefend ging der Jurist auf die Unterschiede zwischen Schiedsgerichtsverfahren und der Adjudikation ein. Während das Schiedsgerichtsverfahren ein eher selten genutztes, in der Zivilprozessordnung reguliertes Verfahren darstelle, habe sich die Adjudikation in anderen Ländern sehr bewährt. Gerade die Festlegung auf die Adjudikatoren im Rahmen der vorvertraglichen Verhandlungen wirke sich sehr positiv aus. Idealerweise sollten sowohl Juristen als auch technische Sachverständige als Adjudikatoren benannt werden.

Mensch und Algorithmus – Ingenieurverantwortung mit neuer Bedeutung

Professor Dr. Christoph Schank führte in ethische Fragestellungen zur Digitalisierung ein und hinterfragte die Rolle der Ingenieurinnen und Ingenieure. In der Öffentlichkeit würden die Gefahren selbstfahrender Autos und der sozialen Medien diskutiert, ihm ginge es aber eher um die Wirkungen der Digitalisierung in der Arbeitswelt. „Big Data“, also die Datensammlung und -verarbeitung von Massendaten, sei im Wirtschaftsleben verheißungsvoll und werde als „das neue Öl“ gehandelt und stelle somit „ein Produkt mit Gewinnmaximierung“ dar. Zu beachten sei jedoch, dass allein die Ansammlung von Massendaten noch nicht unbedingt zu mehr Informationen führe, dazu benötige es Algorithmen. Erst aufgrund dieser Berechnungen und der entwickelten Algorithmen seien nicht nur technische und logistische Abläufe vorhersagbar. Vielmehr sei auch der Mensch inzwischen vermessen und berechenbar geworden. Lebensweisen würden quantifiziert – der Mensch sei digital kartographiert. Die der Informationsbeschaffung dienenden Algorithmen für große Unternehmen, die gezielte Werbung nicht nur bei besuchten Webseiten unterbreiten, sondern auch „vorausschauend“ vermeintliche Bedarfe feststellten, seien nicht mehr durchschaubar oder frei wählbar. Dies gelte nicht nur für Bereiche des Verkaufs, sondern auch gerade im Arbeitsleben, wo Kontrolle und blinder Glaube zunähmen, so Prof. Schank zu Beobachtungen. Mit fatalen Folgen, auch für das Berufsethos und das Handeln des Einzelnen, denn „bei moralischen Dilemmasituationen brauchen wir kreative Lösungen“, so Prof. Schank vor neuen Abhängigkeiten warnend. So würden heute schon Computerprogramme Vorschläge für die Einstellung oder Entlassung von Mitarbeitern vornehmen, im Bankenwesen ist es schon lange üblich, die Kreditwürdigkeit anhand von Programmen zu berechnen. Diese Algorithmen seien nur vordergründig neutral, gab er zu bedenken, sie weichen zwar von den eingegebenen Kriterien nicht ab – problematisch sei aber, dass die Kriterien nicht offengelegt werden, sie könnten nicht nachvollzogen werden und seien nicht transparent. Dazu komme eine starke Gläubigkeit an die Richtigkeit der berechneten Ergebnisse. Besonders bedenklich, so Professor Schank, seien Entwicklungen in den USA, wo durch Software bereits Haftstrafen verhängt würden und über günstige oder ungünstige Bewährungsprognosen befunden werde.

Plädoyer für Qualität und Verantwortung

Beide Vorträge führten zu einer sehr angeregten Podiumsdiskussion in der zunächst einmal herausgearbeitet wurde, wie die Begriffe Normung und Algorithmus in diesem Zusammenhang zu interpretieren sind. Am Beispiel der Entwicklung von BIM wurde die Frage der Qualitätssicherung und der Verantwortung diskutiert. Gerade Ingenieurinnen und Ingenieure sind darin geübt, (DIN) Normen anzuwenden. Sie sehen sich aber sehr häufig dem Umstand ausgesetzt, dass politische Entscheidungsträger ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Ein besseres Zusammenwirken von technisch verantwortlichen und politischen Entscheidungsträgern sei zu fordern. Darüberhinausgehend stelle sich gleichbedeutend die Frage, inwieweit der Einzelne Verantwortung mittragen könne. Die Flucht in eine arithmetische Genauigkeit führe, so Professor Schank, zu einer Ablösung von kulturellen Lebenssystemen und letztendlich auch zu einer Entmenschlichung. Die Fehlerquelle stehe jetzt schon häufig fest: dies sei der Mensch! Im Arbeitsleben bedeute dies eine lückenlose Mitarbeiterkontrolle und führe zu einem Regelfetischismus, da die Regeln nicht mehr hinterfragt würden. Kreative Lösungen und moralische Kräfte dürften jedoch nicht vernachlässigt werden.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ingenieurrechtstags begrüßten die Möglichkeit sehr, über diese Themen zu diskutieren und brachten neue Aspekte und ihre Sichtweisen ein. Mit Fragen der Verantwortung – und damit auch möglicherweise der Haftung – müsse sich jeder auch im täglichen Leben immer wieder auseinandersetzen. Gute Qualität, eine umfassende Risikoabschätzung und ein Miteinander, das es ermöglicht, das gemeinsame Ziel des Werkerfolgs zu erreichen, seien die Mittel, die es noch viel mehr zu beachten gelte – dies könne aber, darin waren sich die Anwesenden einig, nur gemeinsam mit den Auftraggebern gelingen, wobei auch die Gesetzgebung und Politik entsprechende Rahmenbedingungen schaffen müsse.
Die lebhaften Diskussionen setzen sich in den Pausen und nach Abschluss der Veranstaltung fort. Die Ingenieurkammer dankt ihren Gästen, Staatssekretär Berend Lindner, den Referenten und allen Anwesenden, für den gelungenen Veranstaltungstag.

Präsentationen Prof. Leupertz  und Prof. Schank